8. Mai: Im Gedenken an die Opfer, Überlebenden und Hinterbliebenen des Anschlags in Hanau

Am 19. Februar 2020 ereignete sich der rassistische Anschlag in Hanau. 9 Menschen wurden dabei erschossen. Der 8. Mai wurde vor diesem Hintergrund im März diesen Jahres zu einem „Tag des Widerstandes“ ausgerufen. Wir rufen an diesem Tag in Köln und Umland zu vielfältigen und kreativen Aktionen auf. Alles weitere dazu in den kommenden Tagen…

Wir dokumentieren hier unseren Aufruf für den 8. Mai:

Im Gedenken an die Opfer, Überlebenden und Hinterbliebenen des Anschlags in Hanau

In Zeiten der Corona-Pandemie geraten anderweitige Themen momentan zunehmend in den Hintergrund des allgemeinen Interesses. Themen, die einen gesellschaftlichen Aufschrei und eine umfassende politische Reaktion nach sich ziehen müssten, werden zunehmend zu einer Randnotiz der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit.

So auch der rassistische Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020, bei dem ein rechter Täter neun Menschen erschoss. Nach der Tat ermordete er zusätzlich seine Mutter und schließlich sich selbst.

Wir wollen hiermit an den Anschlag in Hanau erinnern.

Wir trauern um die Opfer
Ferhat Unvar
Vili Viorel Păun
Hamza Kurtović
Sedat Gürbüz
Fatih Saraçoğlu
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Gökhan Gültekin
Kaloyan Velkov

und mit ihren Angehörigen und Hinterbliebenden.

Der rassistische Normalzustand und die Kontinuitäten rechter Gewalt Es wäre verkürzt zu sagen, dass alleine die Corona-Pandemie ausschlaggebend dafür sei, dass der rechtsterroristische Anschlag von Hanau eine gesellschaftliche Empörung aber vor allem auch eine Solidarität mit den konkret Betroffenen sowie mit allen (potentiell) Betroffenen rechter Gewalt verhindert hätte, die in dieser Situation unabdingbar wären. Vielmehr zeigt das weitgehende gesellschafte Schweigen wieder einmal die Strukturierung einer Gesellschaft als rassistischen Normalzustand.

Die Anschläge und Morde der letzten Monate wie in Kassel, Halle und Hanau als eine neue „Qualität“ des Rechtsterrorismus zu deuten, fällt angesichts der Taten des NSU sowie der zahlreichen Opfer rechter Gewalt seit den 1990er Jahren (und davor) schwer. Dies würde bedeuten, die zahllosen anderen Betroffenen und Todesopfer in der bundesdeutschen Geschichte auszublenden und zu missachten. Aus diesem Grunde wollen wir hiermit allen Betroffenen rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt der letzten Jahre und Jahrzehnte gedenken.

Dennoch ist auffällig, in welcher kurzen Zeitspanne in den letzten Monaten eine quantitative Häufung rechtsterroristischer Botschaftstaten mit erschreckenden Ausmaßen stattgefunden hat. Die Täter*innen können sich dabei auf eine zunehmende gesellschaftliche Legitimierung rechter „Analysen“ und „Theorien“, welche durch Hetze im Netz und nicht zuletzt durch die politische Agitation der AfD ihren Ausdruck findet. Dazu kommt eine verstärkte Autoritarisierung gesellschaftlicher Prozesse, die (beispielsweise unter der Leitlinie von „Grenzen dicht!“) die „eigene Nation“ in den Mittelpunkt stellt und die Abwehr des als Anders wahrgenommenen forciert. Rechtsterroristische Täter*innen leiten daraus eine Legitimität ihrer Taten ab und sehen sich selbst als Vollstrecker*innen eines vermeintlichen gesellschaftspolitischen Willens.

Politische Absichtserklärungen nach solchen Taten verkommen vor dem Hintergrund ihrer ohnehin schon inhaltlichen Leere zu bloßen Worthülsen, die letztlich zu einer sekundären Viktimisierung von Betroffenen beitragen.

Die Stimmen der Betroffenen werden ausgeblendet, ihre politischen Forderungen und der Wunsch nach lückenloser Aufklärung der Taten verblassen vor dem Hintergrund ihrer Marginalisierung und dem Narrativ von rechten Täter*innen als „verwirrte Einzeltäter*innen“.

Hanau ist kein Einzelfall, sondern steht in der langen Kontinuität rechter Gewalt und rechten Terrors, welche immer wieder den erschreckenden rassistischen Normalzustand der deutschen Gesellschaft aufzeigt.

Die Reaktionen von Politik und Strafverfolgungsbehörden im Nachgang zu dem Anschlag in Hanau zeigen dabei erneut, dass rechter Terror und Rassismus in Deutschland immer noch nicht ernst genommen werden. Dass Rassismus laut zu den Medien aus BKA-Kreisen durchgestochenen Informationen nicht das Hauptmotiv des Täters von Hanau sei, spricht eine eindeutige Sprache: Bagatellisierungen von Gewalt gegen POCs [People Of Colour, Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren] und Migrant*innen wird durch ermittelnde Behörden in Deutschland noch immer aufrecht erhalten. Immer wieder wird unterschieden zwischen einer rassistischen Tatmotivation und eine*m Täter*in, die*der vermeintlich keinen gefestigten ideologischen Hintergrund aufweise. Dies zeigt, dass vor allem bei Straf- und Ermittlungsbehörden für die Bewertung von Anschlägen und Übergriffen immer noch eine Täterperspektive ausschlaggebend ist. Dabei sollte spätestens nach dem NSU deutlich geworden sein, dass die Betroffenenperspektive das zentrale Kriterium für die Bewertung einer Tat sein muss.

Wir fordern daher eine bedingungslose Solidarität zu allen Betroffenen rechter Gewalt und rechten Terrors. Neben einer solidarischen Anteilnahme muss dies jedoch auch bedeuten, Menschen konkret zu unterstützen, um existenzielle Sorgen abzumildern und um dazu beizutragen, ihre Perspektiven, Erfahrungen und Forderungen in den Mittelpunkt zu stellen.

Solidarität vor dem Hintergrund der Corona-Krise

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Corona Krise ist die Unterstützung von Betroffenen notwendiger denn je. Soziale Einrichtungen, die nach dem Anschlag von Hanau umfassende Unterstützung leisteten sind plötzlich weggebrochen: Als „Eine Katastrophe, die auf die eigentliche Katastrophe folgt.“ bezeichnete ein Sozialarbeiter des JUZ Hanau den coronabedingten Abbruch von Trauma- und Trauerarbeit für die Hinterbliebenen (https://www.facebook.com/19FebruarHanau/posts/123184675954730?__tn__=K-R).

Newroz Duman von der Initiative 19. Februar hält neben dem Zusammenbruch einer Vielzahl von Hilfesystemen für Betroffene in Bezug auf die Corona Krise Folgendes fest: „Das Virus muss selbstverständlich ernst genommen werden, aber derzeit verdrängt es alles andere – auch die derzeitige Gewalt gegen Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen.“ Rassistische Übergriffe nach dem 19. Februar auf die Initiative oder auch Fehlverhalten von Polizisten gegenüber Hinterbliebenen wird von der Corona Krise überschattet und somit übersehen.

Das darf so nicht hingenommen werden!

Perspektiven und Forderungen der Betroffenen

Die Hinterbliebenen und Überlebenden das rassistischen Terroranschlags in Hanau werden in der ganzen Debatte rund um das Geschehen überhört – und das hat in Deutschland Kontinuität. Die Perspektiven von Überlebenden, Hinterbliebenden und negativ von Rassismus Betroffenen zu hören, ernst zu nehmen und nach deren Forderungen zu handeln, sollten unbedingte Leitlinien für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft – aber auch für eine überwiegend weiße Linke in Deutschland sein.

Serpal Temiz, die Mutter des in Hanau ermorderten Opfers Ferhat Unvar, hat in einem eindrücklichen offenen Brief an die Bundeskanzlerin klare Forderungen gestellt:

– Ich fordere eine vollständige Aufklärung der Tat. Es dürfen nicht die gleichen Fehler gemacht werden wie beim NSU-Komplex, wo Familienmitgliedern eine vollständige Untersuchung versprochen wurde, die leider nie stattfand, ganz zu schweigen davon, dass sie jahrelang selbst zu Tätern gemacht wurden. Wenn es keine lückenlose Aufklärung gibt, ist es, als würde mein Sohn ein zweites Mal ermordet. Ich bitte Sie daher, uns einen offiziellen Ansprechpartner zu nennen, der sicherstellt, dass unsere Sorgen ernst genommen werden und dass dieser Fall verfolgt wird.

– Die Familien der Opfer brauchen lebenslange Unterstützung für ihren dauerhaften Verlust, der durch nichts kompensiert werden kann. Die Lebenschancen der Angehörigen dürfen nicht verschlechtert werden. Wir bitten die Bundesregierung, uns in diesem geschädigten Leben zu begleiten, sei es durch ehrenamtliche Patenschaften des Bundespräsidenten oder Geschwister-Stipendien

– Ich fordere die Gründung einer staatlich geförderten Stiftung, deren Mitglied und führender Akteur ich mit anderen Angehörigen sein kann. Sie soll Aufklärungsarbeit gegen Hass und Rassismus leisten und das gemeinsame, friedliche Zusammenleben aller Einwohner dieses Landes leisten. Die Opfer von Hanau dürfen nie vergessen werden. Die Namen müssen in der Schule gelernt werden und auf den Straßen lesbar sein. (https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-03/brief_0403.pdf)

Darüber hinaus hat ebenso die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen nicht zuletzt wegen Hanau einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin gerichtet. Die Vielzahl an Forderungen spricht auch hier eine eindeutige Sprache: Rassismus als gesellschaftliche und politische Ursache auf allen Ebenen bekämpfen, parteiliche Unterstützung von Opfern und Hinterbliebenen, Missstände in den Asyl- und Antidiskriminierungsgesetzgebungen beheben. Der Offene Brief kann unter folgenden Link eingesehen werden: https://bundeskonferenz-mo.de/wp-content/uploads/2020/02/260220_Offener-Brief-der-MO-an-Bundeskanzlerin-Merkel-2.pdf

Lasst uns für die Belange der Betroffenen rassistischer Gewalt einstehen!

Unterstützt die Überlebenden und Hinterbliebenen von Hanau! Durch Spenden für die Hinterbliebenen und Überlebenden des rassistischen Attentats vom 19. Februar: https://www.verband-brg.de/spendenaufruf-fur-die-hinterbliebenen-und-uberlebenden-des-rassistischen-attentats-am-19-februar-in-hanau/

Durch Spenden für die Arbeit der Initiative 19. Februar Hanau: https://19feb-hanau.org

Der 8. Mai wurde vor diesem Hintergrund im März diesen Jahres zu einem „Tag des Widerstandes“ ausgerufen.

Aufgerufen dazu hatten migrantische Selbstorganisationen noch im März, bevor es starke Grundrechtseinschränkungen gab, die unseren jetzigen Alltag prägen. Wir möchten diesen Tag trotz aller Umstände nutzen, um auf rassistische Gewalt von Neonazis und staatliche Verstrickungen aufmerksam zu machen.

Wir unterstützen den Aufruf von Migrantifa NRW (https://www.facebook.com/Migrantifa-NRW-107395177545588/)

Wir rufen an diesem Tag in Köln und Umland zu vielfältigen und kreativen Aktionen auf, wie z.B. zum Anbringen von Transparenten an öffentlichen Orten bzw. die von den Angehörigen der Mordopfer autorisierten Plakate „Say their names“.

Gemeinsam gegen rassistische Normalzustände und für ein solidarisches Miteinander – gerade in Zeiten der Corona Krise!

K2 – Interventionistische Linke

Mai 2020